Soul at it’s best - ein Gespräch mit Rita Ray

Foto von Rita Ray
Rita Ray, Foto: Sadu Triste Juurikas

Das letzte Jahr war aufregend für die estnische Soulsängerin Rita Ray. Das Kronjuwel des Soul konnte nicht nur am Jazzopen Festival in Stuttgart und am Festival Nordischer Klang in Greifswald umjubelte Konzerte gebn, sie wird auch am Reeperbahn Festival in Hamburg auftreten. Am 18. September wird sie im Chikago mit ihrer Band auf der Bühne zu erleben sein.

Ihr Debütalbum „Old Love Will Rust“ von 2019 konnte sie einem kleinem Publikum von 200 Personen präsentieren, das Folge-Album „A Life Of Its Own“ wurde drei Jahre später mit Streichorchester vor 2000 Leuten in einem großen Theater in Tallinn aufgeführt. Dieses Record Release Konzert wurde mitgeschnitten und im September erscheint es als „Live In Concert“ Album. Opulente Streicher, eine hinreissend groovende Band, durchdachte Kompositionen der Sängerin und eine grosse Stimme, die jeden mitreisst.

Das beste Beispiel bin vermutlich ich selber, denn eigentlich bin ich eher für Instrumentalmusik gemacht, bei Sängerinnen und Sängern bin ich leider sehr wählerisch. Umso überraschter war ich, als ich die estnische Soulsängerin vor vier Jahren das erste Mal hörte. Mitten in der Corona-Pandemie fand die Tallinn Music Week statt, in einer grossen Industriehalle stellte das Label Funk Embassy seine Künstler wie Sofia Rubina, Lexsoul Dance Machine oder eben Rita Ray vor. Der Auftritt der Sängerin schien etwas aus der Zeit gefallen, gold und schwarz und Pailletten in der Garderobe waren ein deutlicher Fingerzeig zu den Soul- und R’n’B-Grössen der 70er Jahre. Die Stimme mit dem grossen Tonumfang und dem starken Ausdruck packte mich sogar im hinteren Teil der Halle, und dass die Anlage ausfiel und Rita Ray einfach ohne Verstärkung weitergesungen hat und die Halle auch ohne Mikrofon mit ihrer Stimme füllen konnte, war mehr als beeindruckend. „Diese Frau kann singen und sie hat so unfassbar Spass daran“ waren meine Gedanken. Seither habe ich sie regelmässig in Tallinn und inzwischen auch Deutschland gesehen. Der Eindruck hat sich eher verstärkt. Beim einem der letzten Konzert in Berlin entstand dieses Interview.

Rita Ray, die Kristi Raias mit bürgerlichem Namen heisst, stammt aus der Kleinstadt Põlva. Ihr Stil reicht von blue-eyed Soul über R’n’B bis hin zu Old-School-Disco. Sie schreibt ihre Stücke und auch Arrangements selber (für das aktuelle Album sogar Streicherarrangements) und ist auch Pianistin beeindruckend.

Ihr Debütalbum „Old Love Will Rust" bekam vier Nominierungen bei den Estonian Music Awards. „Disco Stu" erreichte dank der Ausstrahlung im BBC 2 die größte Aufmerksamkeit. 2021 wurde Rita Ray mit dem Young Jazz Talent Award des Jazzkaar Festivals ausgezeichnet. Vom zweitem Album „A Life Of Its Own" wurden sowohl „Love Ain't The Same" als auch „No Greater Love" bei BBC und Jazz.fm gespielt. Das über Funk Embassy Records veröffentlichte Album hat auf Spotify über eine Million Streams erreicht und bei den Estonian Music Awards (EMA) die Auszeichnungen „Song des Jahres", „Album des Jahres" und „Weibliche Künstlerin des Jahres" erhalten.
Ein Interview von Angela Ballhorn

jazz-fun.de:
Rita, wie perfekt müssen Aufnahmen von Sängern sein? Und wie schwierig ist es, ein Album, an dessen Vokalspuren viel geschnitten und repariert wurde, live zu performen und aufzunehmen? Da kann ja kaum mehr etwas geändert werden.

Rita Ray:
Als ich das Album aufgenommen habe, war alles, was zu der Zeit an vokalen Sachen in Estland erschienen ist, fixed und editiert. Ich war auf einmal sehr unsicher über meine stimmlichen Fähigkeiten. Die wahre Geschichte, das Live-geschehen, kannst du nicht mit dem gefixten vergleichen, das ist unrealistisch, ich war da wirklich verunsichert. Aber trotzdem habe ich aufgenommen. Theo Katzman, der unter anderem bei Vulfpeck spielt und seine Solokarriere startete, löste mit einem Interview, in dem er sein letztes Live Album promoted hat, eine Diskussion aus, die dann auf Youtube geführt wurde. Mir ist dadurch klar geworden, dass du alles fixen kannst - aber bist du es dann noch oder ist es eine Art computergenerierte beste Version von dir? Künstler wollen die besten vokalen oder instrumentalen Fähigkeiten präsentieren, aber es gibt Grenzen. Diese Grenze willst du nicht überqueren, das ruiniert den kompletten Vibe.

jazz-fun.de:
Es gibt so viele Künstler – du hattest gestern im Konzert Aretha Franklin angesprochen – die den special Vibe haben, den sollte man einfach nicht überproduzieren.

Rita Ray:
Als ich mit meinem Gesang, dem Klavierspielen und der Bandleitung total unsicher war,  habe ich mir das Aretha Live Album „Amazing Grace“ angehört. Da habe ich entdeckt, dass sie und auch ihre Band Fehler machen und ich dachte, wenn Aretha Fehler macht, dann sollte ich mir die auch zugestehen. Denn genau diese Fehler machen das Album so einmalig.

jazz-fun.de:
Als Musiker reagierst du auch anders, wenn dir oder der Band Fehler passieren, du bist dann nicht mehr auf Autopilot.

Rita Ray:
Immer, wenn ich jemand einen Fehler machen höre, hat es meistens eine positive Seite, dann sind die Musiker mehr im Moment und mehr bewusst, was passiert. Eben, weil etwas anderes passiert ist. Ich habe die Erfahrung, wenn ich einen Fehler mache, dann bin ich aufmerksamer im Anschluss, wirklich im Moment. Das macht es oft besser.

jazz-fun.de:
Warst du gestern glücklich mit dem Berlin-Gig?

Rita Ray:
Ja, auf jeden Fall, und ich war überrascht, dass so viele Esten im Publikum waren. Bei jedem Konzert, dass ich hier gespielt habe, waren Esten. Es ist immer schön, wenn man im Ausland auch die estnische Sprache im Publikum hört, das macht es more cozy.

jazz-fun.de:
Du hast dein neues Album live mit Streichorchester aufgenommen.

Rita Ray:
Ja, es gab zwei Record Release Konzert für mein Studioalbum, eines in Tallinn, der Hauptstadt von Estland, und eines in Tartu, meiner Lieblingsstadt. Ich komme aus Põlva, das ist in der Nähe von Tartu. Das ist einfach eine der schönsten Städte Estlands. Wenn du das nächste Mal in Estland bist, musst du dir Tartu anschauen, 2024 ist sie auch  Kulturhauptstadt. Ich mag Städte, durch die ein Fluss fliesst, in Tartu ist das Emajõgi, der heisst übersetzt Mutterfluss. Im Herbst ist das traumhaft, da freue ich mich sehr drauf.

Ich wollte schon immer etwas mit Streichern machen. Für das Release Konzert hatte sich das ergeben, das wollten wir wirklich gross machen. Deshalb habe ich mich mit den Streicherarrangements auseinander gesetzt. Die Idee kam dann schnell, dass wir diese besonderen Release Konzert mitschneiden müssten und vielleicht auch veröffentlichen sollten.

jazz-fun.de:
Du spielst in unterschiedlichen Settings, manchmal nur im Duo mit dem Gitarristen Johannes Laas, manchmal mit kompletter fünfköpfiger Band.

Rita Ray:
Das hat immer mit den Venues zu tun, manchmal passen Drums nicht in die Akustik, dann spielen wir zu zweit, aber zum Reeperbahn Festival kommen wir mit der kompletten Band. Die Besetzung ist allerdings inzwischen anders als auf dem frisch erschienenen Live-Album, die Umbesetzung hat der Musik sehr gut getan.

jazz-fun.de:
Du hattest bei dem Duo-Konzert in Berlin als letzte Zugabe den estnischen Song Song „Kui Tahad Olla Hea“ von Uno Naisso (estnischer Jazzpionier) gespielt, der noch einmal eine ganz andere Stimmung zauberte.

Rita Ray:
Vor fünf Jahren habe ich begonnen, mich mit den estnischen Jazzsängerinnen auseinanderzusetzen. Da habe ich Marju Kuut entdeckt. Sie ist mittlerweile gestorben, aber sie hat mich interessiert, sie hat eine Menge Aufnahmen gemacht. Wie so viele Künstler aus der Sowjetzeit hatte sie ihr monatliches Gehalt, wie ein Job, und hat auf den verschiedensten Aufnahmen mitgesungen. Ich habe noch viel mehr Lieblingsstücke von ihr, aber hier macht der Text dieses Stück besonders. Ihr Timbre und alle kleinen Details geben dem Zuhörer einen Push, alles aufzunehmen. Ich war ein Fangirl von ihr. Eine meiner Freundinnen, die lange Zeit in Schweden war, hatte Kontakt mit Marju, die auch nach Schweden emigriert war. Sie hat dort gelebt und produziert, sie war sehr beschäftigt, eine Frau mit vielen Talenten. Meine Freundin hat mit ihr gesprochen und ihr von mir erzählt. Ich habe mich nicht getraut, sie direkt anzuschreiben. Marju war ein grosser Freund von Sonnenbrillen, sie hatte hunderte. Meine Freundin bekam Sonnenbrillen von ihr geschenkt und hat mir ein Paar weitergegeben. Wir haben ein Foto von mir mit Marjus Brille gemacht und ihr geschickt. Sie schickte mir Grüße zurück und ich war so beeindruckt...

Meine Freundin hat mich gedrängt, ihr zu schreiben, aber ich habe mich nicht getraut, ich hatte einfach viel zu viel Respekt vor dieser Legende. Das bereue ich bis heute, weil sie vor zwei Jahren verstorben ist. Sie hat mich sehr inspiriert. Ich habe das Glück gehabt, dass ich als eine der wenigen Sänger an ihrem Begräbnis singen durfte.

Und den Song haben wir performed, weil sehr viele Esten im Publikum waren, ich hoffe, das restliche nicht-estnische Publikum hat uns das nicht übel genommen.

Ich habe versucht, den Song ins englische zu übersetzen und auch überlegt, ihn aufzunehmen, aber die estnische Sprache hat einen so anderen Sprachfluss, das ist wirklich schwer. Es wäre zu simpel geworden, die Originalfassung enthält viele Worte, die mehrere Bedeutung haben. Gurke und Kehle sind dieselbe Vokabel zum Beispiel. Die estnische Sprache zu übersetzen ist wirklich schwer.

jazz-fun.de:
Kannst du mir etwas von der grossen Liebe von den Esten zum Singen erzählen? Hier in Deutschland wird leider gar nicht mehr so viel gesungen und auch die Volkslieder-Kultur verschwindet...

Rita Ray:
Jeder liebt es zu singen, das stimmt. Wir haben eine starke Tradition durch die Songfestivals. Wir Esten waren so oft von anderen Ländern besetzt und mussten neue Traditionen übernehmen, aber das Songfestival ist uns heilig, das bedeutet uns viel. Es war der Grund, wie wir unabhängig wurden, durch die singende Revolution. Diese tiefe Tradition, das zusammen sein und zusammen singen, eint uns als Nation. Das ist in unserem Blut. Singen ist etwas, das die Esten von dem harten täglichen Leben wegbrachte. Es gibt sehr talentierte und hart arbeitende Chorleiter, die viel extra Arbeit machen, die motiviert und auf einer Mission sind, die Estland zu einem besseren Platz machen wollen. Wenn die Tradition weitergehen soll, dann sollte die Regierung das mehr wertschätzen und besser bezahlen. Die professionellen Chöre werden subventioniert, aber auch andere Chöre und ihre Chorleiter, die am Songfestival dabei sind, sollten auch unterstützt werden.

jazz-fun.de:
Was kannst du zu deinem neuen Live-Album erzählen?

Rita Ray:
Es gab zwei Konzerte und beide Shows waren beinahe zwei Stunden lang. Ich habe mein komplettes zweites Album präsentiert und auch noch Stücke aus dem ersten Album dazu genommen. Ich habe mir beide Konzerte angehört und da das Format vierzig Minuten haben sollte, hatte ich anfangs nur vier Songs rausgesucht. Ich fand beide Konzerte gleich gut, es war schwer eine Auswahl zu treffen. Ich wollte es als Ganzes erscheinen lassen, wie ein richtiges Konzert, auch wenn es Stücke aus dem Tartu und dem Tallinn Programm waren. Eine besondere Aufnahme ist für mich „Needless to say“. Wir haben dafür Stringarrangements gemacht, und der Lehrer an der Musikschule in Põlva, Riivo Jõgi, auch welche. Dieses Stück hat er gemacht. Das musste ich einfach auf das Album nehmen. In der ersten Sekunde wusste ich, das muss veröffentlicht werden. Jetzt kann ich die Live-Version veröffentlichen, weil die Streicher auf dem Studioalbum fehlen. Sein Arrangement ist sooo toll.

jazz-fun.de:
Vierzig Minuten ist wirklich knapp bemessen.

Rita Ray:
In der Tat, beide meiner Album haben acht Stücke, aber weil meine Songs keine Pop-Stücke mit drei Minuten sind, gibt es Nummern, die sieben Minuten und länger sind. Ich kann offensichtlich keine kürzeren Songs schreiben. Wenn ich mein drittes Album schreibe, dann muss ich es verdoppeln, vielleicht eine Doppel-LP? Die Vinyl-Fans würden das sehr schätzen… Das ist ja beinahe eine Religion für die Fans. Nach meiner ersten CD Präsentation bekam ich einen Plattenspieler geschenkt, weil ich nicht mal meine eigene Platte als Vinyl hören konnte. Inzwischen habe ich einige Platten im Regal, die ich auch anhöre, weil es doch eine ganz andere Erfahrung ist. Das kannst du nicht nebenher machen, du musst aktiver sein. Und um Schallplatten mitzunehmen, um sie an Konzerten zu verkaufen, musst du aufpassen, wie du packst. Wir mussten am Flughafen von Tallinn umpacken, weil Platten wirklich schwer sind. Aber als Musiker zu reisen, ist immer stressig.

Jazz-fun.de:
Janno Trump, dein Bassist, hatte letztes Jahr mit seiner Band am Jazzbaltica Festival gespielt und sein Bass ging unterwegs verloren.

Rita Ray:
Ja, er hat immer noch PTSD davon, er ist supergestresst wegen Lufthansa und war sehr nervös, als er am Gepäckband stand. Aber diesmal war sein Instrument da, letztes Jahr dauerte es lange, bis er seinen Bass wieder hatte. Das sollte für Hamburg bitte nicht passieren!

Aktuelles Album:
Rity Ray „Live In Concert“ (Funk Embassy)

Text: Angela Ballhorn
Foto: Sadu Triste Juurikas

www.ritaray.com

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